Von Navdanya International – Pressenza Deutsch, 11. Dezember 2020 | Quelle
Erhalt von Biodiversität, Saatgutvielfalt, ökologischer Landbau, Rechte von Landwirten, Bildung, kulturelle Vielfalt und Ernährungssouveränität: das sind die Ziele von Navdanya International, einer in Indien ansässigen Nichtregierungsorganisation, die sich mit den globalen Entwicklungen in der Landwirtschaft beschäftigt. Der folgende Artikel fasst einige ihrer Beobachtungen und Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte zusammen.
Der jüngste Bericht von Navdanya International mit dem Titel „Gates to a Global Empire“ zielt darauf ab, die Rolle und das Handeln einer der privaten Stiftungen zu untersuchen, die heute den größten Einfluss auf die öffentliche Politik in der ganzen Welt hat: die Bill and Melinda Gates Foundation (BMGF). Die philanthropischen Interventionen des Gründers von Microsoft, Bill Gates – einer der reichsten Menschen der Welt mit einem persönlichen Vermögen von rund 117 Milliarden Dollar – ergeben sich aus dem neoliberalen Kontext sowohl der Politik der post-strukturellen Anpassung als auch der stetig abnehmenden Mittel für internationale Institutionen. Damit stand die Tür für Gates weit offen, um die internationale Arena als großzügiger Geber von dringend benötigtem Kapital neu zu beleben. Ein Kapital, das alles andere als sauber ist.
Obwohl Gates sein Geld für „wohltätige Zwecke“ zu verschenken scheint, ist sein Nettovermögen, seitdem er hauptberuflich als „Philanthrop“ tätig ist, stetig gestiegen und hat somit die globale Entwicklung zu einer wichtigen Einnahmequelle gemacht. Die Fähigkeit der Stiftung, mächtige private Interessen zu fördern und strategische Akteure aller Bereiche – von den Medien bis hin zu Forschungsinstituten – miteinzubeziehen, erlaubt es Gates, aller Offenkundigkeit von Interessenkonflikten und allgemeinen Versagens zum Trotz, stets offene Türen zu finden. Die Struktur des Bill and Melinda Gates Trust Fund, der von Warren Buffet gemanagt wird, beinhaltet Investitionen in Unternehmen wie z.B. Walgreens, Kraft Foods, Coca Cola etc. und steht somit im Gegensatz zu den selbst gesteckten Entwicklungszielen der Stiftung.
Navdanyas Analyse geht vom Agrar- und Lebensmittelsektor aus, in dem sich die von Vandana Shiva gegründete Organisation seit dreißig Jahren für die Verteidigung von Biodiversität und Saatgutvielfalt engagiert. Der Bericht befasst sich mit Fällen von Biopiraterie und Versuchen, Patente auf Saatgut zu erlangen, zunächst durch GVO (Gentechnisch veränderte Organismen) und inzwischen auch durch Techniken der Genom-Editierung (Anm.d.Ü.: zielgerichtete Veränderung von DNA, einschließlich Erbguts; siehe Wikipedia), an denen auch die Gates-Stiftung beteiligt ist.
Versuche, die gescheiterte Grüne Revolution nach Lateinamerika, Afrika und Asien zu exportieren, bestätigen die These, dass die BMGF keinerlei Interesse an der Entwicklung neuer nachhaltiger und sozialverträglicher Wirtschaftsmodelle hat, sondern vielmehr die Konsolidierung des intensiv-industriellen Monokultur-Modells im großen Maßstab verfolgt, zum Nutzen der Agrar-, Saatgut- und Chemie-Industrie. Dies wird besonders an Argentinien deutlich, das einmal mehr Ausgangspunkt für die neue Initiative „Ag Tech“ (Agrartechnologie) ist, die die Techniken der Grünen Revolution konsolidieren will, jedoch mit neuen ausbeuterischen Technologien. Diese Initiative ist in Zusammenarbeit mit dem Inter-American Institute for Cooperation on Agriculture (IICA), der Bill and Melinda Gates Foundation und bedeutenden Technologie- und Agrochemie-Unternehmen wie Microsoft, Bayer, Corteva (Tochtergesellschaft des Chemiekonzerns DuPont) und Syngenta geplant.
Bei der Vorstellung des neuen Berichts „Gates to a Global Empire – A Global Citizens‘ Report“ erklärte Vandana Shiva: „Während der letzten fünf Jahrzehnte hat sich eine industrialisierte, globalisierte Agrarindustrie weltweit verbreitet, mit hohen Kosten für den Planeten, für Bauern, Saatgutvielfalt und Nahrungsmittelsouveränität. Navdanyas Forschungen in Theorie und Praxis über 35 Jahre hinweg haben gezeigt, dass die industrielle Landwirtschaft ineffizient und unproduktiv ist und eine Abhängigkeit von Konzernen und globalen Lieferketten schafft, die landwirtschaftliche Betriebe in einen Teufelskreis von Uniformität und ewigem Input zwingt“.
Das Risiko der Genmanipulation
Die BMGF kann Misserfolge ihrer Projekte leicht ignorieren, wie im Fall der Allianz für die Grüne Revolution in Afrika (AGRA), einem Programm zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität in Afrika. Wie in Navdanyas Bericht ausgeführt wird, „gibt es nach fast 15 Jahren keine Anzeichen für signifikante Produktivitätssteigerungen, während es im Bezug auf die Menschen, die unter extremem Hunger leiden, in den AGRA-Ländern einen Anstieg um 30 Prozent gab“. Gates hatte zusammen mit privaten Unternehmen daran gearbeitet, das afrikanische Nahrungs- und Lebensmittelsystem auf allen Ebenen völlig neu zu gestalten – zugunsten der Monopole von GVO und digitaler Landwirtschaft der Chemie- und Agrarindustrie.
Verschleiert durch eine Rhetorik von abnehmender Unterernährung, chronischem Hunger und Armut sieht Gates die einzige Lösung für dieses „Produktionsdefizit“ in den Marktideologien der Grünen Revolution, ungeachtet der durch diese chemischen Methoden verursachten Verwüstungen der Vergangenheit. All dies steht in krassem Gegensatz zum lokalen Widerstand und den ökologischen Praktiken von Kleinbauern. Dieses Beharren auf falschen Lösungen mit GV-Sorten steht im Einklang mit Bill Gates routinemäßig erklärter vollen Unterstützung für gentechnisch manipuliertes Saatgut als „notwendige technische Lösung“ für landwirtschaftliche Entwicklung. Wie Vandana Shiva bekräftigt: „Mit seinem philanthropischen Imperialismus erweist sich Gates als Kolumbus des digitalen Zeitalters, als ein „neuer Monsanto“, der auf bereits gescheiterte GVOs drängt und gleichzeitig versucht, neue GVOs auf der Grundlage der Genom-Editierung einzuführen“.
Diese Amnesie und das Leugnen von Misserfolgen wird auch bei der neuen Initiative AgOne der Bill and Melinda Gates Foundation deutlich. Die im Januar 2020 gestartete AgOne gibt denselben Strategien, die auch in anderen Landwirtschaftsinitiativen von Gates angewandt werden, eine neue Wende. Sie bedeutet eine neue technologische Aufrüstung der Data-Mining-Landwirte durch Sensortechnologie, CRISPR-Cas9-Gentechnologie für Saatgut und lebende Pflanzen, neue gentechnisch veränderte Organismen, Vorhersagemodelle auf Basis künstlicher Intelligenz und so weiter und so fort. Die BMGF ist nach der US-Militärgruppe Darpa der wichtigste Geldgeber bei der Entwicklung der Gentechnologie – beginnend 2003 mit Hefe-Enzymen, über 2015 mit der Entdeckung von CRISPR, bis heute. Es ist eine Proteintechnologie, die die nächste Phase der Genmanipulation markiert.
Der direkte Einfluss auf internationale Forschungseinrichtungen sichert die Kontinuität der BMGF-Programme. Dies ist der Fall bei der Beratungsgruppe für internationale Agrarforschung (CGIAR), der die Stiftung mit rund 105 Millionen Dollar pro Jahr mehr als jeder andere Geldgeber zur Verfügung stellt. Gates ist auch bestrebt, die 15 größten Saatgutbanken der Welt zu konsolidieren, indem er globale Initiativen finanziert, wie z.B. eine Initiative mit dem Namen Diversity seek (DivSeek), die zum Ziel hat, die gesamte genetische Information des eingelagerten Saatguts zu kopieren. Auf diese Weise können Patente auf die gesammelte genetische Information angemeldet werden, was zu Biopiraterie führt. In den letzten fünf Jahren sind die Interessen der Wirtschaft im Bereich der Biodiversität im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Biotechnologie gewachsen, insbesondere zum Thema des uneingeschränkten Zugangs zu digitalen Sequenzinformationen (DSI). DSI ist eine Biotechnologie, die die genetische Information eines Genoms scannt, so dass das genetische Material von Pflanzen in eine digitale Datenbank hochgeladen werden kann. All dies stellt eine Gefährdung von internationalen Abkommen und im Besonderen einen fundamentalen Verstoß gegen das Übereinkommen über die biologische Vielfalt und das Nagoya-Protokoll dar.
Die wahren Interessen der Gates-Stiftung
Wie aufgezeigt, setzt sich die Gates-Stiftung für die Ausweitung des „Konsens“ und für ein für sie günstiges regulatorisches Umfeld ein, um ihre finanzierten „Innovationen“ so schnell wie möglich vom Labor auf den Markt zu bringen, ungeachtet aller Risiken, Konsequenzen oder früherer Misserfolge. Dies manifestiert sich in einem aggressiven taktischen Angriff auf kritische Stimmen in der internationalen Debatte, während Projekte und Initiativen der Stiftung wenig bis gar nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Im Bestreben, diesen Konsens und ein „günstiges regulatorisches Umfeld“ zu erreichen, finanziert die BMGF alles, um ihren eigenen Interessen zu genügen, von der Medienberichterstattung über Forschung, Universitäten, Startup-Unternehmen, Entwicklungsprogramme und -projekte, Forschungsinitiativen internationaler Institutionen bis hin zu Regierungsprogrammen.
Es handelt sich also um einen demokratischen Notstand, der von führenden Experten und Leitern von zivilgesellschaftlichen Bewegungen im Bericht eingehend analysiert wird, wie Vandana Shiva, Farida Akhter, José Esquinas Alcàzar, Nicoletta Dentico, Fernando Cabaleiro, Seth Itzkan, Dru Jay, Satish Kumar, Jonathan Latham, Aidé Jiménez-Martínez, Chito Medina, Zahra Moloo, Silvia Ribeiro, Adelita San Vicente, Ali Tapsoba, Jim Thomas und Timothy A. Weise. Der Bericht stützt sich auf die Beteiligung internationaler Organisationen und nationaler Bewegungen wie der ETC Group, Community Alliance for Global Justice/Agra Watch, Soil4Climate, Bioscience Resource, GM Watch, Naturaleza de Derechos – Argentina, Masipag – Philippines, Terre à Vie – Burkina Faso und Ubinig – Bangladesh.
Übersetzung aus dem Englischen von Pressenza München
Der Bericht (Englisch) kann kostenlos auf der Website von Navdanya International heruntergeladen werden: